Die Zahlen des IQB-Bildungstrends zeigen eine besorgniserregende Tendenz, die im Einklang mit einer ganzen Reihe von anderen empirischen Bildungsstudien der letzten Jahre steht: Die Schülerleistungen in Deutschland insgesamt und auch im Saarland sind aktuell deutlich niedriger als noch vor einigen Jahren.

Sorge bereitet vor allem, dass der Anteil derjenigen Schülerinnen und Schüler, die Regel- oder sogar Mindeststandards verfehlen, immer weiter ansteigt.
Die Bildungspolitik muss unbedingt umsteuern und den Aspekt der mess- und zählbaren Schülerleistungen zum Hauptziel und wichtigsten Maßstab ihrer Anstrengungen machen. Es ist nicht in Ordnung, Schüler und Eltern mit der Ausrichtung auf wohlklingende allgemeine Ziele und der Bescheinigung abstrakter Kompetenzen zu sedieren, und ihnen dann, wenn es z.B. bei Schulleistungsstudien ernst wird, fehlendes Wissen und Können vorzuhalten.

Zugleich verfestigt sich das Auseinanderklaffen der verschiedenen Schularten: Während Gymnasiasten weiterhin praktisch ausnahmslos Mindeststandards erreichen und weit überwiegend auch die Regelstandards, ist das an den anderen Schularten genau gegenteilig. Dieser Befund ist seit 15 Jahren, also seit mehr als zwei Schülergenerationen, immer wieder derselbe.

Die Bildungspolitik muss sich daher endlich der Realität stellen und mit differenzierten Maßnahmen dem schleichenden Leistungsverlust entgegenwirken. Die Politik der vergangenen Jahre, die dem Mantra des „für alle gleich“ folgte, muss umgesteuert werden hin zu einer politischen Steuerung, die die verschiedenen Schularten mit ihren jeweiligen Bildungsaufträgen und unterrichtlichen Gegebenheiten ernst nimmt und darauf mit passgenauen Maßnahmen reagiert. Das erfordert ein schlüssiges Gesamtkonzept. Mit „Projektitis“, also der Aufhäufung immer neuer Programme und Projekte, die Einzelprobleme in den Blick nehmen, kann das Gesamtproblem nicht gelöst werden.

Eine Bildungspolitik, die sich an Schülerleistungen als oberstes Ziel orientiert und wirksame, weil differenzierte Maßnahmen ergreift, muss sich von folgenden Gedanken leiten lassen.

  1. Die Kompetenzorientierung als bildungspolitisches Steuerungsinstrument ist gescheitert.
    Seit dem ersten PISA-Schock vor zwanzig Jahren setzt die Bildungspolitik auch im Saarland auf die Kompetenzorientierung als alleinseligmachendes Steuerungsinstrument. Spätestens mit dem IQB-Bildungstrend 2025 hat sich das als Irrweg erwiesen. Die Politik darf sich nicht länger damit zufriedengeben, Schülerinnen und Schülern Kompetenzen bescheinigen zu dürfen, sondern sie muss sich darauf fokussieren, dass Kompetenzen verlässlich mit mess- und zählbarem Wissen und Können hinterlegt sind.
    In einer differenzierten Vorgehensweise kann das beispielsweise bedeuten, dass in bestimmten Schularten bei bestimmten Schülerinnen und Schülern erst einmal die Basis an Wissen und Können gelegt werden muss, auf der der Erwerb von fachlichen Kompetenzen aufbauen kann. Speziell an Gymnasien ist dafür zu sorgen, dass die Leistungspotenziale der Schülerinnen und Schüler tatsächlich ausgeschöpft werden und im Sinne der allgemeinen Studierfähigkeit die Vorbereitung auf ein wissenschaftliches Studium grundständig als Zielsetzung des Fachunterrichts in allen Fächern gilt.
  2. Die Digitalisierung in der Bildung muss primär auf den Aspekt der Lernwirksamkeit ausgerichtet werden
    Seit Corona verschwendet die Bildungspolitik wertvolle Ressourcen darauf, eine Komplett-Ausstattung von Schulen und Schülern mit digitalen Geräten und Medien zu erzwingen. Die Vorgehensweise ist von einem einseitigen Blick auf die Technik geprägt.
    Stattdessen muss die Digitalisierung unter dem Aspekt der Lernwirksamkeit betrieben werden. Es müssen Vorab-Entscheidungen getroffen werden, die – differenziert nach Schulart und Altersgruppe – aufzeigen, welchen Beitrag zur Verbesserung der Schülerleistungen die Digitalisierung leisten soll. Entscheidungen über Anschaffungen und Implementierung von Digitalem an den Schulen müssen auf der Grundlage von evidenzbasierten Erkenntnissen über die Lernwirksamkeit der jeweiligen Medien und Geräte im praktischen Unterrichtseinsatz getroffen werden. Maßnahmen dagegen, bei denen nicht von vornherein verlässlich aufgezeigt werden kann, dass sie lernwirksam sind, müssen dagegen gestrichen werden.
    Diese Vorab-Entscheidungen müssen auf der bildungspolitischen Ebene in Form eines schlüssigen pädagogischen Gesamtkonzepts der Digitalisierung formuliert werden. Die Hoffnung, dass solche Konzepte auf der Ebene einzelner Schulen erarbeitet werden könnten, hat sich als Irrtum erwiesen. Es ist aussichtlos, in dem völlig unübersichtlichen Markt an digitalen Produkten deren Lernwirksamkeit jeweils einzeln in den Schulen zu ergründen. Abgesehen davon ist es auch eine Fehlallokation der begrenzten Ressourcen, Digitalisierungskonzepte an jeder einzelnen Schule parallel und immer neu erfinden zu lassen.
  3. Die Bildungspolitik muss das Schulsystem auf die Aufgabe der Verbesserung von Schülerleistungen fokussieren
    Die Zahl der (fach-)unterrichtsfremden Aufgaben des Schulsystems ist explosionsartig gestiegen. Seit Langem definiert die Bildungspolitik ständig neue Aufgaben, die unterschiedslos und ohne Prioritätensetzung dem Schulsystem aufgebürdet werden. Diese Vorgehensweise missbraucht und überfordert die vorhandenen Ressourcen und gefährdet daher den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler, wie der IQB-Bildungstrend eindrücklich aufzeigt.
    Beispielhaft zu nennen sind Betreuungsaufgaben, sozial-integrative Aufgaben, die Bewältigung der Folgen von Flucht und Migration auf die Bildungswege von Schülerinnen und Schülern oder der Kampf gegen die negativen Auswirkungen des Missbrauchs digitaler Medien auf die äußeren Lernvoraussetzungen der Schüler. Hinzu kommen massenhaft neue Bildungsziele und -bereiche wie z.B. die Medienbildung, die Demokratiebildung, die Erziehung zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz und viele mehr, die den Schulen unterschiedslos aufgestülpt werden.
    Gerade weil viele dieser Aufgaben unabweisbar nötig oder wünschenswert sind, muss die Bildungspolitik eine Prioritätensetzung vornehmen und die dafür nötigen Ressourcen benennen. Bei dieser Aufgabe steht die gesamte Landesregierung in der Pflicht. Es darf nicht länger so bleiben, dass die Politik insgesamt den Bürgern die Lösung einer Unzahl von Problemen durch die Bildung verspricht, dann aber das Bildungsministerium mit der praktischen Umsetzung im Stich lässt und regelmäßig in kleinkarierte Diskussionen über den Personalmehrbedarf verstrickt. Genauso ist es nötig, dass die Bildungspolitik selbst klare, entlang der unterschiedlichen Situationen in den verschiedenen Schularten differenzierte Prioritätensetzungen vornimmt und sich bei auf diejenigen Aufgaben fokussiert, die verlässlich zur Steigerung der Schülerleistungen beitragen.
  4. Die Bildungspolitik muss der Überlastung beim Personal entgegenwirken
    Der IQB-Bildungstrend hat erneut bestätigt: Die Lehrkräfte gehen ihrer Aufgabe mit ungebrochenem Enthusiasmus und höchster Leistungsbereitschaft nach. Allerdings missbraucht die Bildungspolitik die Einsatzbereitschaft der Lehrkräfte, indem sie ständig neue und zusätzliche Belastungen schafft oder akzeptiert, ohne entsprechende Entlastungen zu gewähren. Die Folge davon ist, dass für die Aufgabe, die eigentlich im Zentrum der Arbeit stehen sollte, nämlich die Steigerung der Leistungen der Schüler, immer weniger Zeit und Kraft zur Verfügung steht. Begleitende Studien der letzten Jahre haben die gravierenden negativen Auswirkungen bis hin zu Gesundheitsgefährdungen beim überlasteten Personal gezeigt.
    Wenn eine Neuausrichtung der Bildungspolitik auf bessere Schülerleistungen erfolgreich sein soll, muss mit wirksamen Maßnahmen der Überlastung des Personals entgegengewirkt werden. Diese Maßnahmen müssen differenziert erfolgen und sich an den konkreten Arbeitssituationen in den verschiedenen Schularten orientieren. So zeigt sich im IQB-Bildungstrend erneut, dass an Gymnasien vor allem die Belastung durch unterrichtsnahe Tätigkeiten weit überdurchschnittlich groß ist. Daher muss an Gymnasien die Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte gesenkt werden, damit ausreichend Zeit und Kraft für diese Aufgabe zur Verfügung steht. Außerdem, auch das ein zentrales Ergebnis des IQB-Bildungstrends, muss der Aufwand bei der Leistungsmessung an Gymnasien auf ein vernünftiges, weil dem Ziel der Steigerung von Schülerleistungen dienliches Maß, reduziert werden. An anderen Schularten müssen entsprechende, ebenfalls an der jeweiligen Situation orientierte Maßnahmen ergriffen werden.
  5. Die Bildungspolitik muss die Lehrerbildung passgenau und zukunftssicher gestalten
    Die extrem unterschiedliche Situation in den verschiedenen Schularten, Bildungsgängen und Fächern erfordert eine differenzierte Herangehensweise auch in der Lehrerbildung. Eine Ausrichtung des Schulsystems auf die Kernaufgabe der Steigerung der Schülerleistungen kann nur erfolgreich sein, wenn sie von einer passgenauen und gründlichen Vorbereitung der Lehrkräfte auf diese Aufgabe begleitet wird.
    Speziell an Gymnasien ist das umfassende wissenschaftliche Studium in zwei Fächern, das um eine vertiefte fachdidaktische und unterrichtspraktische Ausbildung im Referendariat ergänzt wird, ein absolutes Erfolgsmodell. Allerdings wurde speziell im Referendariat in der Vergangenheit einerseits das Aufgabenspektrum massiv ausgeweitet, während gleichzeitig der dafür zur Verfügung stehende Zeitansatz durch die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes reduziert wurde. Dieser Fehlentwicklung muss dringend entgegengewirkt werden. Zum einen müssen die Ausbildungsinhalte stärker auf den Fachunterricht konzentriert werden, zum anderen muss die 24monatige Ausbildungszeit wiederhergestellt werden.
    Das erfordert auch eine sachgerechte Aufgabenteilung zwischen den drei Phasen der Lehrerbildung (Studium, Referendariat, Weiterbildung), die auf klaren Schwerpunktsetzungen für die jeweiligen Phasen beruht.